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In einer Großstadt wie Berlin hat man als datingwilliger Single den Vorteil, dass es eine unglaubliche Auswahl an anderen Singles gibt, die man nahezu überall treffen kann. Im Supermarkt, in der Bibliothek, während man einen Kaffee trinkt und der hübsche Kerl vom Tisch nebenan kurz von seinem Laptop aufschaut. So wie es eben in jedem klebrigen Liebesroman passiert. Da das Leben in der Realität allerdings meisten mehr Kafka als Rosamunde Pilcher ist und vor allem, wenn man einen passenden Partner sucht, der die eigenen sexuellen Vorlieben nicht nur versteht, sondern auch teilt, erhöht sich das Schwierigkeitslevel plötzlich vehement. Nun gibt es für BDSM-interessierte Großstädter zahlreiche Angebote Gleichgesinnte kennenzulernen: Stammtische, Afterwork-Events, Workshops und Spielpartys. Der populärste Ort, um sich ein Date zu angeln, ist aber nach wie vor das Internet.

Als meine Mutter erfährt, dass ich vorhabe, mich bei einer Onlinedating-Plattform anzumelden, ist ihre erste Reaktion, mich darauf hinzuweisen, dass irgendwann mal ein Mann von einem Kannibalen gegessen wurde. Den hatte er vor dem Verspeistwerden ebenfalls im Internet kennengelernt. Sie rät mir davon ab. Ich verspreche ihr also, das Date augenblicklich zu beenden, sobald ich merke, dass mich mein Gegenüber heimlich mit Marinade bestreicht. Beim Ausfüllen meines Profils erwische ich mich plötzlich dabei, wie ich mir bei der Angabe des Gewichts unversehens 5 Kilo wegmogele, mit Photoshop einen Filter über mein Profilbild packe und zudem den einen und anderen Pickel wegretuschiere. Kurze Zeit später haben sich ein paar Nachrichten in meiner Inbox angesammelt. Ich lasse ein ein paar Minuten verstreichen. Wenn ich die Nachrichten zu schnell öffne und antworte, sieht es eventuell zu bedürftig aus. Können die anderen User überhaupt sehen, wann und ob ich die Nachricht geöffnet habe? Ich werde nervös und hole mir ein Bier, dann lese ich die erste Nachricht. „DeinstrengerHerr“ will mich in seine dunkle Welt entführen, aber einen Keller habe ich selbst. Irgendjemand mit dem Usernamen „Hannes57“ fragt, ob er benutzte Slips von mir kaufen kann, ein anderer schreibt einfach bloß „Hi!“. Und dann bekomme ich noch zwei identische Zuschriften. In der Ersten werde ich angesprochen, in der zweiten Nachricht steht hinter der Anrede der Username einer anderen Frau. Der Mann arbeitet also mit Textvorlagen – das ist zumindest zeitsparend. Ich weise ihn auf seinen Faux-Pas hin, aber das mag er offensichtlich nicht. Mich mag er daraufhin auch nicht mehr. Ein paar der Texte, die ich bekomme, sind wirklich nett geschrieben. Und keiner, bis auf den Typen mit den gebrauchten Slips, ist anzüglich oder unangenehm, und der Slip-Mann hatte eigentlich auch recht höflich gefragt.

Nach ein paar Tagen gebe ich einem Mann, der mir gefällt, meine Nummer. Er scheint nett und kultiviert. Wir schreiben uns ein paar höflich verklemmte SMS hin und her. Irgendwann wird es konkreter. Wir schreiben schmutzig. Ich kann mich kaum mehr auf irgendetwas anderes konzentrieren. Ich aktualisiere minütlich mein Emailpostfach und jedes Mal, wenn meine Telefon ein Geräusch von sich gibt, verwandele ich mich in ein nervöses Hormonbündel. Sobald ich morgens aufwache, greife ich gierig nach meinem Telefon und dann zu meinem Vibrator. Ich habe lediglich zwei verschwommene Fotos von ihm. Aber das genügt mir und meiner Fantasie. Solange er nur nicht aufhört zu schreiben. In seiner nächsten Nachricht teilt er mir mit, dass er mich treffen will. Im mir verkrampft sich alles. Ich hatte mich bereits so sehr an das ungefährliche Hin und Her gewöhnt. Aber wollte ich nicht ein echtes Date?! Wir machen also einen Termin aus. Am Tag unseres ersten Dates bin ich so nervös, dass ich mir bereits eine Stunde vorher ein Glas Wein reinhelfe. Und natürlich bin ich viel zu früh am vereinbarten Treffpunkt. Während ich mir die Zeit noch kurz mit einem unentspannten Spaziergang um den Block vertreibe, hoffe ich inständig, dass er nicht zufällig an mir vorbeikommt und sieht, wie ich merkwürdig in der Gegend herumschleiche. In solchen Momenten verliere ich einfach völlig meine Souveränität. Was, wenn ich ihn nicht erkenne? Erstens bin ich kurzsichtig, zweitens kann ich mir keine Gesichter merken und seine Profil-Fotos waren überdies unscharf. Auf die Minute genau betrete ich die Bar. Er sitzt bereits am Tisch und winkt mir zu. Vor ihm steht eine angebrochene Flasche Weißwein und sein Glas ist bereits zur Hälfte ausgetrunken. Er ist sieht ein wenig anders aus, als auf den Fotos, etwas älter, aber das stört mich nicht. Wir reden viel, lachen viel und trinken viel. Das Thema BDSM schneiden wir kaum an. Am Ende des Abends hilft er mir in den Mantel und setzt mich in ein Taxi. Am nächsten Tag wollen wir uns bei ihm zuhause treffen und spielen. 

Ich ziehe meinen Nylon-Strumpf hoch, aber die Bodylotion ist noch nicht eingezogen. Der Strumpf klebt an meinem Bein fest und reißt. Wütend werfe ich ein schwarzes Bündel Nylon in die Ecke meines Badezimmers und krame eine 99-Cent Strumpfhose aus der Wäscheschublade. Ich schneide die Beine der Strumpfhose mit einer Schere ab und befestige die Enden an meinem Strumpfhalter. Das muss reichen. Als ich meinen Slip überstreife, kommt mir zudem der Gedanke, dass jeder, der mich fünf Mal in Unterwäsche gesehen hat, alle meine einigermaßen vorzeigbaren Dessous kennt. Die Treppen zu seiner Wohnung hochsteigend, fällt mir schlagartig ein, dass ich niemandem Bescheid gesagt habe, wo ich den Abend verbringen werde. Sicherheitshalber schicke ich also schnell noch eine Textnachricht an einen Freund, bevor ich die Klingel betätige. Sein Lächeln ist schön und er riecht gut, nach einer Mischung aus Parfum und Weichspüler. Wir sitzen zusammen auf seinem Sofa, reden wieder, lachen, aber wollten wir nicht spielen? Ich mag seine Grübchen und den kleinen Bauchansatz, der sich unter seinem Hemd ein wenig hervorwölbt. Wir trinken Wein und irgendwann beginne ich näher zu rutschen, berühre ihn mit meinem Bein und versinke in einer Wolke aus Parfum und Weichspüler. Er nimmt mein Gesicht in seine Hand, gibt mir eine leichte Ohrfeige, fragt mich, was ich mir wünsche. Ich lächele, mir ist etwas schwindelig von dem Wein. Ich sage, dass ich betraft werden möchte und versuche mich ungeschickt über seine Beine zu legen. Er zieht meinen Rock hoch und schlägt mich ein paar Mal mit der flachen Hand auf den Arsch. Das gefällt mir. Dann packt er aus. Er wirft mich von seinem Schoß auf den Boden und hält mir ohne Umschweife seine Männlichkeit entgegen. Ich falle ungeschickt auf mein Knie und merke, wie sich ein Splitter des Holzfußbodens in meine Haut schiebt. Ein stechender Schmerz macht meine Lust vollkommen zunichte. Los, ich will, dass du ihn in den Mund nimmst und ordentlich bläst!“ Ich weiche zurück. Mein Knie tut weh und das ist alles plötzlich gar nicht mehr geil. Er bemerkt meinen Gesichtsausdruck, fragt, was los ist. Ich sage „Nichts“, bin wütend, weil nichts so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hatte. Das war nicht meine Fantasie. Er schaut verwirrt. Wir schauen beide verwirrt.

Ein paar Minuten später sitzen wir wieder zusammen auf der Couch. Keiner sagt etwas und wir halten uns krampfhaft an unseren Weißweingläsern fest. Was war passiert? Wir hatten doch ein perfektes virtuelles Sexleben. Er rutscht ein wenig näher, streckt seinen Arm hinter der Couch aus und umfasst meine Schulter. Ich lasse meinen Kopf sinken. Wir lachen. Mehr passiert nicht. Weder an diesem Abend, noch an einem anderen, denn manche Dinge, die im Kopf funktionieren, lassen sich nicht in die Realität bringen.

Lilium

Lilium

Lilium hat ihr Studium in Literaturwissenschaften und Mediävistik mit dem Schwerpunkt Sadomasochismusforschung abgeschlossen und lebt ihre BDSM-Neigung auch im Alltag offen aus. Die gebürtige Berlinerin ist nicht nur wahnsinnig neugierig darauf, was andere zu erzählen haben, sondern gibt zudem gerne einen Einblick in ihre ganz privaten Leidenschaften.

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