Das Angst mitunter Lust bereiten kann, ist allgemein bekannt. Das Element der Angstlust zieht sich bereits seit der Antike durch Literatur und Kunst. Angefangen von der griechischen Sagenwelt mit ihren Ungeheuern über die Höllendarstellung der Gemälde des mittelalterlichen Künstlers Hieronymus Bosch bis hin zu den modernen Interpretationen im Thriller oder Horrorfilm. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir das, was uns fasziniert und Lust macht, in den sexuellen Bereich übertragen.

Aber was macht eigentlich den besonderen Reiz an dieser Spielart aus und wie genau funktioniert das Spiel mit der Angst?

Betrachten wir die ganze Sache rein medizinisch, schüttet der Körper, geraten wir in Angst, eine erhöhte Konzentration an Adrenalin und Noradrenalin aus. Beide Hormone kümmern sich darum, dass wir kurzzeitig in den vollen Energiemodus wechseln: Der Herzschlag erhöht sich ebenso wie die Durchblutung – der ganze Organismus ist in Alarmbereitschaft. Die Reaktion unseres Körpers auf die beiden Hormone ist daher auch der Grund, warum manche Menschen Geld dafür bezahlen, um sich in Vergnügungsparks ordentlich durchschütteln zu lassen. Was zugegeben keine wirklich wissenschaftlicher Vergleich und zudem hinlänglich bekannt ist, uns aber eventuell ein Stück weit auf die richtige Spur führt.
Achterbahnfahren ist, statistisch gesehen, relativ sicher. Bereitet uns das Fahren mit der Achterbahn also lediglich Vergnügen, weil wir eigentlich wissen, dass wir nach der Fahrt wieder sicher und unbeschadet auf festem Boden landen? Es verhält sich hier vermutlich ebenso wie bei einem Horrorfilm, den wir auch nur so sehr genießen können, weil wir das Geschehen von der Geborgenheit und Sicherheit des Kinosessels oder der heimischen Couch aus betrachten. Eine echte Begegnung mit dem axtschwingenden Mörderclown fänden die meisten von uns mit Sicherheit eher weniger unterhaltsam.
Halten wir uns an die These, dass Angst nur dann Lust respektive Spaß bereitet, wenn gleichzeitig Sicherheit im Spiel ist, gewinnen wir eine Ahnung davon, wo genau die Schwierigkeit dieser Spielart liegt. Denn hier bewegen wir uns ganz bewusst auf dem schmalen Grat zwischen Vertrauen und Panik. Nun werden einige – zu recht – behaupten, dass tiefes Vertrauen ohnehin die Basis für jede BDSM-Session ist. Das ist richtig, aber jemanden zu finden, dem man genug vertraut, um zuzulassen, dass er einen in Angst versetzt, ist nicht einfach. Den Partner, mit dem wir zusammen lachen und mit dem wir den Becher Ben & Jerrys teilen, während wir zusammen die neue Staffel von „House of Cards“ schauen, auf einmal in eine ganz andere Rolle zu bringen, bedeutet eine Menge Arbeit – und zwar im Kopf. Denn Angst und gewohntes Vertrauen sind zwei absolut konträre Gefühle.

Wie also schafft man es, von realem Vertrauen zu fiktiver Gefahr zu wechseln?

Mein erstes „Angstspiel“ ergab sich aus Zufall. Vor einigen Jahren hatte ich eine relativ schlimme Phase, in der ich als die „Lindsay Lohan“ unserer Familie bekannt war. Was sich leider nicht auf mein Schauspieltalent bezog. Alles, was mich damals interessierte, war ich selbst und alles, das mit trinken und feiern zu tun hatte. Zu dieser Zeit war ich mit einem Mann zusammen, den ich wirklich schlecht behandelte und dessen Nerven ich in einer ständigen On-Off-Beziehung überstrapazierte. Wir hatten uns eines Abends zum Spielen verabredet und es war wie immer. Schön gewohnt, sicher und ungefährlich. Ich habe das stets sehr genossen, denn ich bin kein besonders mutiger oder risikofreudiger Mensch. Ich traue mich nicht einmal in den Dispo zu gehen oder bei Rot über die Ampel zu laufen.
Es waren die selben Ledermanschetten, mit denen er mich schon so oft am Bett fixiert hatte. Sein gewohnter Geruch – eine Mischung aus dem Parfum, das ich liebte, und Bioladen-Duschgel. Er war der Mann, dem ich hundertprozentig vertraute. Der mich, als ich kurzzeitig auf einem Auge blind wurde, zum Arzt brachte und meine Hand hielt. Und der mich in nach einer hart durchfeierten Nacht (erwähnte ich schwierige Zeiten?) zum Prüfungsamt meiner Universität schleppte, damit ich meinen Termin wahrnehme konnte und endlich meinen Abschluss machte. Ich ließ mir die Augenbinde überstreifen, meinen Körper fallen und wartete darauf, bespielt zu werden. Plötzlich drückte sich etwas Kaltes hart gegen meinen Hals und ich hörte seine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Es sei genug, sagte er. Ich hätte ihn niemals in die Wohnung lassen sollen, denn er würde sich nie wieder so respektlos von mir behandeln lassen. Ich spürte wie er, vermutlich mit einem meiner Küchenmesser, in meine Haut schnitt. Vom Halsansatz hinunter bis zum Bauch. Es war nicht einmal besonders schmerzhaft. Aber es aktivierte etwas in meinem Kopf. In Sekundenschnelle rasten Gedanken durch mein Gehirn. Was, wenn er wirklich durchgedreht ist? Was wird er jetzt mit dir anstellen? Wird er Narben auf deinem Körper hinterlassen? Kenne ich ihn wirklich so gut? Adrenalin und Noradrenalin waren auf einmal da und schickten mich auf einen atemberaubenden Trip. Trotz meiner angstvollen Gedanken, wusste ich insgeheim, dass ich in keinem Moment einer wirklichen Bedrohung ausgesetzt war. Es bereitete mir aber ein unglaubliches Vergnügen, mich in die Situation einer möglichen Gefahr hineinzusteigern.

Ich schrie mich heiser und als er mir den Vibrator zwischen die Beine hielt, kam ich so heftig, wie nie zuvor. Was war passiert?
Hier kommt der Vergnügungspark wieder ins Spiel. Und die Achterbahn. Fühlen wir uns wirklich sicher, wenn wir in einen Looping geschleudert werden oder denken wir insgeheim, dass dies auch unsere letzte Fahrt sein könnte, wenn nur eine kleine Schraube irgendwo fehlt? Schauen wir uns auf dem Heimweg aus dem Kino nicht vielleicht auch manchmal um, wenn wir alleine durch den einsamen, dunklen Park laufen? Gibt es nicht wirklich verrückte Axtmörder und könnten diese sich nicht eventuell hinter dem nächsten Busch verstecken, wo sie nur darauf warten, uns in kleine, handliche Stückchen zu zerteilen? Das nennt man Restrisiko. Aber genau das macht es spannend und das ist es vermutlich auch, was die Hormone dazu bringt, ihre Arbeit zu erledigen und uns diesen fantastischen Adrenalin-Kick zu verschaffen. Um wirklich Angst entstehen zu lassen, müssen wir uns manchmal in Situationen wiederfinden, die überraschend sind. Situationen, die eine Grenze überschreiten und zwar die der kompletten Sicherheit.
Es erfordert allerdings ein Höchstmaß an Kommunikation, damit das Spiel mit der Angst gelingt und für beide Partner befriedigend ist.Vor allem sollte der Wunsch nach Angstspielen niemals als Vorwand für Noncon-Praktiken ausgenutzt werden. Denn niemand sollte in diesem Zusammenhang zu etwas genötigt werden, das definitiv nicht erwünscht ist. Der kommunikative Austausch über die Vorlieben und Grenzen ist extrem wichtig. Auch und vor allem, wenn wir diese überschreiten wollen.
Was Vergnügungsparks anbelangt, muss ich leider gestehen, dass ich zu viel Angst habe, um in eine Achterbahn zu steigen. Eigentlich komisch.

Lilium

Lilium

Lilium hat ihr Studium in Literaturwissenschaften und Mediävistik mit dem Schwerpunkt Sadomasochismusforschung abgeschlossen und lebt ihre BDSM-Neigung auch im Alltag offen aus. Die gebürtige Berlinerin ist nicht nur wahnsinnig neugierig darauf, was andere zu erzählen haben, sondern gibt zudem gerne einen Einblick in ihre ganz privaten Leidenschaften.

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1 Comment

  1. 19. April 2016 at 14:16

    Ein wirklich schöner Artikel zu dem Thema. War lange nicht damit im Reinen, dass gerade meine Angst mich so erregt 😉 Vor allem finde ich es schwer von dem Vertrauen aus, wirklich Angst zu empfinden. Der Top muss sich immer etwas unberechenbares erhalten, damit die Frage aufkommt: „Macht er das jetzt wirklich?“ Das liebe ich…