Unsere Gesellschaft ist modern und aufgeklärt. Wir reden in Talkshows und Interviews ganz offen über Sex und in Magazinen wie der Cosmopolitan liest man mitunter sogar wirklich interessante Sex-Kolumnen, die ohne Umschweife auf den Punkt kommen. Und – wie wir seit „Shades of Grey“ wissen – gibt es derzeit zudem einen großen Markt für sadomasochistisch angehauchte Unterhaltungsliteratur. Es scheint, als würden wir uns plötzlich ganz frei in einer Welt bewegen können, die vielen Urgesteinen und Pionieren der BDSM-Szene noch verschlossen war und voller Vorurteile entgegengetreten ist. Warum also nicht einfach Montag früh der Kollegin, die einem ständig von ihrem Sexleben und den Tinder-Dates erzählt, sagen, dass man nicht versteht, wie sie die Kuschelsexnummer als befriedigend empfinden kann und bei dieser Gelegenheit stolz die Striemen der letzten Session präsentieren? Die Stino-Freundinnen beim Cocktail-Abend darüber aufklären, dass man erst seinen Herrn um Erlaubnis fragen muss, bevor man noch einen Drink bestellen darf und beim nächsten Familientreffen das hübsche Halsband tragen? Wir sind schließlich heutzutage alle so Tolerant und voller Verständnis.

Als ich mein Coming-Out hatte, war es mir ein besonderes Anliegen, jedem davon zu erzählen, der es (nicht) hören wollte. Ich war so glücklich, mich endlich offenbaren zu können und so aufgedreht, als hätte man mir ein halbes Gramm Koks auf einmal in die Nase gestopft. Ich fühlte mich wie die Missionarin des BDSM, gewillt, allen von meiner Leidenschaft zu berichten, ihren Weg zu erhellen und sie ins (perverse) Licht zu führen. Für mich war es plötzlich undenkbar, dass es tatsächlich Menschen geben könne, welche die Schönheit und Intensität einer BDSM-Beziehung nicht nachvollziehen können. Ein Unterfangen, das selbstverständlich vollkommen scheiterte und in einigen fragwürdigen bis extrem peinlichen Situationen endete.

Aber wie erklärt man als BDSMler sein Coming-Out den Außenstehenden am geschicktesten, wenn man den Wunsch hat, ganz offen damit umzugehen?

Der Mathematiker und erste deutsche Professor für Experimentalphysik, Georg Christoph Lichtenberg, sagte einst: „[es sei nicht möglich] Leuten durchs Auge deutlich [zu] machen, was eigentlich, um vollkommen gefaßt zu werden, gerochen werden muß.“ Im übertragenen Sinne kann man diese Aussage auf das Verhältnis der nicht bdsm-affinen Umwelt zum Thema Sadomasochismus relativ gut übertragen. BDSM wird als sexuelle Spielart wahrgenommen, kann aber darüber hinaus, also als Lebens- und Liebesform, nicht wirklich nachvollzogen werden, weil der Zugang fehlt. Dies liegt oftmals daran, dass nicht verständlich gemacht werden kann, dass Sadomasochismus mehr ist, als das bloße aneinanderreihen von bizarren Fetischen und Lack- und Lederklamotten, mehr als das Simulieren von Sessions und Spielpraktiken mit Equipment wie Peitschen, Seilen und Knebeln, wie es immer wieder in den Medien und im Film präsentiert wird.  „Sex sells“ und ist umso interessanter, wenn man ihn als exotisch, dunkel und fremdartig darstellt. Es werden die einschlägigen Symbole gezeigt, die Aufmerksamkeit erregen und den Zuschauer oder Leser ein wenig schaudern lassen. Viel Schwarz, Kerzen, dazu ein Folterkeller und fertig ist die Mischung aus perversem Sex mit einem Hauch von mittelalterlichem Grusel. Es ist ähnlich wie bei einem Krimi oder Schauerroman, der Zuschauer betrachtet etwas aus der sicheren Distanz, ohne sich tatsächlich darauf einlassen zu müssen.

Aber etwas, auf das man sich nicht einlässt, wird man nur schwer verstehen. Und noch weniger versteht man etwas, das einem nicht im vernünftigen Rahmen und dem nötigen Einfühlungsvermögen erklärt wird.

Meine Schwester hat vor Jahren einmal durch Zufall eine inhaltlich eigentlich recht harmlose Textnachricht gelesen, die mir einer meiner Spielpartner geschickt hatte. Wir hatten unseren Geburtstag gefeiert und sie dachte, es sei ein Gratulant – ich war ziemlich betrunken und sie wollte mir die Nachricht daher vorlesen – und war sichtlich angewidert.

Das war einer dieser Momente, in dem mir sehr deutlich bewusst wurde, dass Verständnis langsam wachsen muss, dass hier eine Grenze überschritten wurde.

Meine Schwester ist nicht konservativ und sexuell bestimmt nicht verklemmt, aber das war etwas, das sie einfach nicht einordnen konnte und genau deswegen eine deutliche Reaktion der Ablehnung hervorrief. Und diese Reaktion hätte ich leicht verhindern können, hätte ich mir die Mühe gemacht, ihr meine Neigung sensibel und vernünftig zu erklären, anstatt davon auszugehen, dass sie es schon verstehen wird. Natürlich ist es reizvoll, wenn man sich eine Aura des geheimnisvollen und der Andersartigkeit geben kann, denn wollen wir nicht alle etwas ganz Besonderes sein? Wir genießen die Innigkeit mit unseren Partnern beim BDSM, wir verstehen unsere Sprache und versinken in den eigenen Welten. Und ja, es macht Spaß, einer Subkultur anzugehören. Aber da wir uns nicht alle in Berufen oder Beziehungskonstellationen befinden, in dem wir unsere Neigung offen positionieren können, sollten wir da nicht zumindest versuchen, Verständnis zu schaffen? Vielleicht sollte man daher lieber anfangen nach Schnittpunkten zu suchen, anstatt die Grenzen ihrer eignen Dynamik zu überlassen. Kann es hier einen gemeinsamen Nenner geben? Nichts wäre doch einfacher: wir sind alle sehr ähnlich in unserer Leidenschaft, in unserem Begehren und dem, was wir zu geben bereit sind, wenn wir leidenschaftlich für etwas brennen. BDSM ist ein weites Feld und wir sollten uns daher nicht von den Medien auf gruselige Ledermasken, grausame Folterinstrument und strenge Dominas reduzieren lassen. Wir bewegen uns, wenn wir wollen und können, innerhalb der Szene, aber viele von uns sind Krankenschwestern, Mamas, Papas, Büroangestellte, Wissenschaftler oder Studenten. Wir haben Freunde außerhalb der BDSM-Szene und Familienmitglieder, die nicht mit unserer Neigung geboren wurden. Manche von uns hingegen haben Partner, die sie sehr lieben, die aber nicht mit der entsprechenden sexuellen Leidenschaft zurechtkommen und diese nicht teilen. Es ist weich und komfortabel in der eigenen Community, aber wenn wir uns zu sehr ausgrenzen, werden wir es verpassen, dass unsere Gesellschaft versteht, worum es beim BDSM wirklich geht. Intimität, Liebe und Vertrauen. Ist es gar möglich, das zu erreichen, was die Gay-Community sich über lange Jahre hinweg mit Events wie dem CSD erarbeitet hat? Zusammenhalt untereinander, feiern miteinander, ohne sich dem Umfeld zu verschließen.

Vielleicht wird es irgendwann so sein, dass niemand mehr komisch schaut, wenn der Herr im Restaurant einen Hundenapf für die Sub bestellt oder die Sissy von der Herrin in High-Heels in die Bar geführt wird, aber das ist eher unwahrscheinlich. Wir werden uns vermutlich noch lange Zeit zwischen den Welten bewegen, können aber dafür sorgen, dass wir uns in beiden Welten zuhause fühlen. Mit Verständnis und vor allem damit, dass wir die Aufklärung leisten, welche die populistischen Medien und die Unterhaltungsindustrie zugunsten des Effekts nicht gestatten. Dies bedeutet aber, ab und an die eigene Komfortzone zu verlassen und einen Weg zu finden, Außenstehenden zu zeigen, dass BDSM eine ganz normale Beziehungsform ist, die von Menschen gelebt wird, die offen, empathisch und auch anderen gegenüber aufgeschlossen sind. Und wenn wir mögen, bleiben wir dabei gerne auch ein wenig dunkel und geheimnisvoll.

Lilium

Lilium

Lilium hat ihr Studium in Literaturwissenschaften und Mediävistik mit dem Schwerpunkt Sadomasochismusforschung abgeschlossen und lebt ihre BDSM-Neigung auch im Alltag offen aus. Die gebürtige Berlinerin ist nicht nur wahnsinnig neugierig darauf, was andere zu erzählen haben, sondern gibt zudem gerne einen Einblick in ihre ganz privaten Leidenschaften.

Previous post

Von Beruf Sklavin - die submissive Welt der Amelie

Next post

Wie BDSM dabei helfen kann, sich selbst und andere zu lieben