Eine nicht BDSM interessierte Freundin sagte letztens beim Bierchen zu mir, sie hätte einfach keine Lust mehr auf Dates. Sie käme sich dabei immer vor, wie bei einem Bewerbungsgespräch, bei dem jeder versucht wäre, seine „Makel“ möglichst lange vor dem anderen zu verheimlichen, nur um als für eine Partnerschaft als begehrenswert eingestuft zu werden. Gerade, wenn man arbeitssuchend sei, alleinerziehend und keine 20 mehr. Vor ein paar Tagen bin ich dann zufällig auf der Seite einer viel beworbenen Partneragentur gelandet und mir wurde klar, wovon sie sprach. Da reihten sich Lea Sophie – Marketing Executive (mag Interieur im Landhausstil, Tracking und ihre Ballettschuhe) an Carsten – Sales Manager (mag den Rotweinwanderweg im Breisgau, seine Espressomaschine und Segelflug) munter aneinander. Ein Mikrokosmos aus beruflichem Erfolg, interessanten Hobbys und elitärer Interessen.

 

Natürlich drücke ich den normattraktiven Elitekomponenten fest die Daumen, dass sie glücklich mit dem Segelflieger auf Lea Sophies Trackingstrecke landen und sich anschließend angeregt über Rotwein und Interieur – und ich schwöre, dass ich diesen Begriff noch niemals in der freien Wildbahn jemanden habe sagen hören – unterhalten. In solchen Momenten bin ich dennoch froh, dass ich mir keinen Partner nach diesen Kriterien und in solchen Foren suchen muss, weil „herkömmliche“ Partnerbörsen für Sadomasochisten in den meisten Fällen wenig zu bieten haben. Und es gab mir Anlass, einmal darüber nachzudenken, was Sadomasochisten bei der Partnersuche vielleicht anders machen. Und ob sie überhaupt etwas anders machen.

 

Sicher, auf den einschlägigen BDSM Dating-Plattformen und Partys macht man auch die eine oder andere seltsame Bekanntschaft, aber zumindest ist man dort erst einmal vornehmlich an den sexuellen Vorlieben des Anderen interessiert, bevor die beruflichen und finanziellen Hard Facts auf den Tisch gepackt werden. Und genau das macht uns BDSMler vielleicht ein wenig offener und toleranter Menschen gegenüber, die nicht dem eigenen sozialen Umfeld entstammen und optisch eventuell nicht dem Wunschbild entsprechen, das uns die Medien mühevoll eintrichtern möchten. Sobald man sich auf andere Menschen aufgeschlossen einlässt, hat dies zudem den Nebeneffekt, dass man eine Menge über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse lernt. Sich frei macht von dem, was man eventuell nur will, weil die Gesellschaft es einem aufzwingen möchte. BDSM erweitert nicht nur die Grenzen des eigenen Körpers, sondern lässt Kriterien wie Alter, sozialer Status, oder dem Wunsch nach einer Normbeziehung mitunter in den Hintergrund rücken.

 

Auf BDSM-Partys habe ich selten perfekte Körper gesehen und auch nie begehrt. Die Schönheit liegt vielmehr in der kompromisslos ausgelebten Lust. Mit Striemen übersäte Haut, Seile, die ins Fleisch schneiden, verschmiertes Make-up und eine vom Spielen ruinierte Frisur. Das alles hat eine eigene Ästhetik, braucht keine Modellmaße und genau diese Erkenntnis hilft dabei, sich selbst und seinen Gegenüber als schön zu erkennen, auch wenn uns die Werbung  mit ihren perfekt bearbeiteten Bildern etwas anderes weismachen will. Die Meisten von uns kennen wohl den Moment, indem wir die Male, blauen Flecke und Verletzungen im Spiegel betrachten und nicht die eigene Unvollkommenheit, den Bauchansatz oder die Cellulite sehen, sondern einen Körper, der unglaublich sinnlich ist und bis zur Ekstase benutzt wurde. Oder die Spuren, die wir auf dem Körper des anderen hinterlassen haben, die uns seine Hingabe spüren lassen und ihn so schön machen, dass wir sofort wieder die nächste Session beginnen wollen.

 

Wir sind schön, wenn uns der Sabber unter dem Knebel raus läuft, wenn wir würgen, heulen und mit zerrissenen Klamotten auf dem Boden herumkriechen. Außenstehende mögen denken, dass die Ästhetik des BDSM durch weichgespülte Hollywood Inszenierungen ausreichend dargestellt wird, aber BDSM ist ein Spiel mit Grenzen und Extremen, mit dem, was andere vielleicht eher abstoßen, als zu sexuellen Experimenten einladen würde. Wir sind nicht zahm, sondern wild, machen nicht nur süße Spielchen mit zarten Seidenfesseln sondern lieben echten perversen Sex, bei dem wir uns auch gerne einmal richtig schmutzig machen. Und dennoch sind wir möglicherweise um einiges sozialer, als die Welt da draußen. BDSM macht uns Menschen gegenüber aufgeschlossener, die wir ansonsten nicht wahrgenommen hätten, weil sie weder Rotweinwege bewandern, noch gerne Hermann Hesse lesen und auch keine akademische Laufbahn angestrebt haben. Und ist das nicht genau das, was Liebe letztlich ausmacht? Das umgehen von Konventionen und das einreißen von Grenzen?

 

Um den Idealismus jetzt ein wenig herauszunehmen, muss ich leider gestehen, dass ich selbst schon von einem Mann, den ich auf einen Stammtisch kennengelernt hatte, gefragt wurde, was ich netto verdienen würde. Eventuell fragte er sich, ob ich mir Interieur leisten könne. Aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Lilium

Lilium

Lilium hat ihr Studium in Literaturwissenschaften und Mediävistik mit dem Schwerpunkt Sadomasochismusforschung abgeschlossen und lebt ihre BDSM-Neigung auch im Alltag offen aus. Die gebürtige Berlinerin ist nicht nur wahnsinnig neugierig darauf, was andere zu erzählen haben, sondern gibt zudem gerne einen Einblick in ihre ganz privaten Leidenschaften.

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